07/2008
„40 Jahre „Kopf“-Arbeit“
Ein Porträt des Architekten Heinz Grote im Deutschen Architektenblatt 07/08
Seit 1968 engagiert sich Heinz Grote für eine Revolution auf den Baustellen. Porträt eines Kämpfers der besonderen Art.
- von Roland Stimpel
Vertrauen: Heinz Grote setzt in Planung und Bau gerade dort auf Selbststeuerung, wo hoher Organisationsaufwand das Chaos nicht in den Griff bekommt.
Im braven Villengebiet von Holzminden an der Weser sticht die blaue Kiste sofort heraus. Das Signal ist deutlich: Hier wohnt der unkonventionelle Architekt. Womöglich ein Alt-68er? Biographisch ist Heinz Grote alles andere als das. Er war damals kein studentisch-sozialistischer Revoluzzer in Berlin oder Frankfurt, sondern ein 39-jähriger und auf dem Markt gut etablierter Büroinhaber in Südniedersachsen. Grote faszinierte nicht der Kommunismus, sondern die Baukybernetik. Seit 40 Jahren kämpft er unbeirrt für eine bessere Welt auf den Baustellen. Auf seine eigene Weise ist er damit doch ein Alt-68er. Wie die Studenten entwickelte er in jenem Jahr eine Vision und machte sich auf den langen Marsch durch die Institutionen, um sie zu verwirklichen. Dabei stellte er in Einzelfällen das Alltagsleben auf den Kopf. Aber wie die 68-er konnte er den größten Teil seiner Umwelt bis heute nicht von seinen Ideen überzeugen. Trotzdem kämpft Grote unbeirrt für eine bessere Welt auf den Baustellen.
„Die Umbesinnung schafft uns von innen her neu – verdrahtet das Gehirn neu.“ Heinz Grote
"1968 lag da ein Buch auf meinem Schreibtisch", erzählt der heute 79-Jährige. Kein Manifest, sondern die betriebswirtschaftliche Doktorarbeit eines gewissen Heinz-Michael Mirow mit dem Titel “Die Kybernetik als Grundlage einer allgemeinen Theorie der Organisation”. Kybernetik, abgeleitet vom griechischen Wort für "Steuerungs-Kunst": Ihr geht es um den gordischen Knoten von komplexen Organisationsaufgaben. Andere wollten und wollen ihn mit neuen Projektmanagement-Instrumenten aufdröseln, die versprechen, alles zentral im Griff zu behalten. Die Kybernetik will den Knoten durchhauen: mit Rückkopplungen und Selbstregulierungen wie in der Natur. Wenn irgendein Teil über die Stränge schlägt, findet ein System wie zum Beispiel eine Baustelle von selbst in die Nähe des Gleichgewichts zurück.
Auch Bauleiter kämpfen in einem komplexen, schwer zu handhabenden System, das ihnen rasch über den Kopf wachsen kann. Grote sah in der Kybernetik die Chance, ein "soziotechnisches System ‚Baustelle’ zu schaffen, dass sich selber steuern kann". Sinnfällig kürzte er es "Kopf" ab; das steht für "Kybernetische Organisation, Planung und Führung”. Kern des Modells ist, vereinfacht gesagt, das Einplanen von Überraschungen - Grote nennt es „das Erwarten des Unerwarteten“. Zum Beispiel langsame Firmen, ausbleibendes Material, schlechtes Wetter, plötzliche Umplanungen. "Vorausberechnen kann man all das nicht", sagt Grote. "Aber man kann einen Planungsprozess und eine Baustelle so organisieren, dass sie gut damit fertig wird. Es geht darum, die Arbeitskapazitäten immer wieder dem Wechsel des Bedarfs anzupassen."
Das erfordert allerdings einen Aufwand, der viele abschreckt. Nicht nur zum Projektstart wird für alle größeren Arbeitsschritte die voraussichtlich nötige Zeit kalkuliert und die Zahl der nötigen Arbeitskräfte ermittelt. Stattdessen gibt es einen ständigen Abgleich: zwischen der verstrichenen Zeit und dem, was schon geleistet ist, einerseits, zwischen der noch übrigen Zeit und dem noch nötigen Aufwand andererseits. Reicht die Arbeitskapazität nicht, dann muss sie an dieser Stelle eben erhöht werden – mit mehr Kräften, mit zusätzlichen Büros und Firmen. Dazu ist jeder Beteiligte auf seinem Gebiet selbst verpflichtet. Und in der Praxis klappe das auch, sagt Grote. Auf Störungen am Bau könne dieses System viel schneller und beweglicher reagieren als jedes andere, das bei einer einzelnen Störung mit Folgen an hundert Stellen fertig werden muss.
Doch viele glauben nicht an die Kraft der Selbststeuerung. Sie macht manche an Hierarchie Gewohnte auch aus einem anderen Grund misstrauisch: Das „Kopf“-System basiert auf Vertrauen und Kooperation, nicht auf Druck und Kontrolle. Die Daten müssen von jedem selbständig erhoben und ehrlich weiter gegeben werden – gerade wenn etwas schief läuft. Und Bauleiter dürfen sich nicht als große Fädenzieher sehen, sondern als Informationsvermittler. In Grotes Worten müssen sich „die Führenden als Dienende verstehen“. Der „Kopf“-Anwender Karl-Heinz Thomas vom Bauunternehmen Dilling in Breidenbach bei Marburg sagt: „Grundlage ist ein neues Denken und eine Mentalität der Selbstorganisation und des Miteinanders. Es dauert einige Jahre, bis eine neue Gewohnheit entstanden ist.“
Grote selbst wendete sein System seit 1970 an und hat über die Jahre stattliche Referenzen gesammelt. "Der Einsatz des „Kopf“-Systems war erfolgsentscheidend", bescheinigte ihm zum Beispiel ein Münchener Stadtdirektor. Mit dem System „wurden die extrem engen Terminvorgaben ohne Probleme eingehalten", bestätigte das Staatshochbauamt Recklinghausen. "Ihre Projektsteuerung mit dem Kopf-System hatte an dem Erfolg wesentlichen Anteil", schrieb ihm das Wohnungsunternehmen Gagfah; er habe mit ihm „auch den Planungsprozess wirkungsvoll organisiert", äußerte die Nibelungen Wohnbau. Auch einige Architekten wenden es an, so Olaf Weigelt in Aachen und Rüdiger Sickenberg in Nürnberg, der dort die Planungsabteilung der Schultheiss Wohnbau leitet. Doch der größte Teil der Welt verschließt sich der Idee.
„Wir können mit unseren Gedanken eine neue Realität schaffen“ Heinz Grote
Ist das Ganze Spinnerei, wie Skeptiker seit bald 40 Jahren meinen? Oder ist es der Schlüssel zur besseren Bau- und Planungswelt, als den Heinz Grote es sieht? Auf die Frage gibt es keine eindeutige, objektive Antwort. Die es wollen, es mental können und den Start durchgehalten haben, schwören darauf. Die Ignoranz der anderen entmutigt Grote aber nicht, sondern erfüllt ihn nur mit milder Melancholie. "Ich verzweifle nicht, ich finde es nur schade."
Sein Kampf geht weiter. Erst vor ein paar Jahren hat er ein voluminöses Buch "Kosten senken mit Kopf" publiziert, mit dem 68er-Untertitel "Die Revolution des Baumanagements". Darin geht es nicht nur um Arbeitskapazitäten, sondern um die vielen weiteren Facetten seines ständig ausgebauten Systems – Kostenkalkulation, Mengenermittlungen, Abfolgen von Planungs- und Ausführungsschritten. Grote organisiert Tagungen, er denkt ungeachtet seines Alters an die Gründung einer Schule – „Kopf“ müsse in die Köpfe. Er hat seine Mission, genau wie viele Alt-68er und manche unverstandenen Entwurfsarchitekten: "Man muss die Mentalitäten ändern, da führt nichts drum herum."